„Energie ungleich Kunst?“– Eine Kunstkritik

Die Kunstkritikerin Lori Waxman nimmt mit ihrem Projekt „60 wrd/minute art critic“ an der dOCUMENTA (13) teil. In einer Holzhütte oberhalb der Karlsaue rezensiert sie nach Terminabsprache mitgebrachte Kunstwerke – von Laien ebenso wie von etablierten Künstlern. Der Terminkalender der Kanadierin ist bis zum Ende der documenta voll ausgebucht. Trotzdem fand Lori die Zeit, mit uns über ihr Projekt und die SMA Kampagne „Energie ≠ Kunst?“ zu sprechen.
Lori, können Sie ein paar Worte sagen zum Hintergrund Ihres Projekts für die dOCUMENTA (13)?
Das Projekt heißt „60 wrd/minute art critic“. Projekte dieser Art habe ich schon vor sechs Jahren in den USA angefangen, allerdings nie in dieser Größenordnung. Ich habe diese Projekte in kleinerem Umfang für drei Tage in Kleinstädten in ganz Amerika gemacht. Entweder gab es in den Städten gar keine Kunstkritiker oder einfach keine Plattform für die lokale Kunstszene, die über die Stadtgrenzen hinaus reicht. Die Frage war also immer: Wenn ein außenstehender, national und international anerkannter Kunstkritiker in die Stadt käme, was würde das für die ansässigen Künstler bedeuten, wer würde sich der Kritik stellen und wie wäre es, plötzlich Kritiken in der lokalen Presse zu sehen? Ich arbeite dabei immer mit ortsansässigen Medien zusammen, hier in Kassel zum Beispiel mit der Lokalzeitung. Der Unterschied bei meinem documenta-Projekt ist schlichtweg der Umfang und, dass es sich hier um eine internationale Ausstellung handelt. Aber auch hier wird das Projekt vor allem von Leuten aus der Umgebung genutzt. Die meisten Menschen, die zu mir kommen, haben von dem Projekt in der Zeitung gelesen. Ich kann nicht einschätzen, inwieweit sie normalerweise an Mitmach-Projekten der documenta teilnehmen würden oder ob sie überhaupt zur documenta gehen.
Wie viele Kritiken haben Sie im Rahmen des documenta-Projekts bisher geschrieben?
Bisher sind es weit über 200. Ich schreibe jeden Montag, Mittwoch und Samstag zwischen 13 und 18 Uhr fünf vorher verabredete und zwei spontane Kritiken. Ich muss mich genau an diesen Terminplan halten, sonst würde das Ganze rund um die Uhr andauern.
In Ihren Kritik-Sessions treffen Sie auf sehr verschiedene Leute und deren Kunstwerke. Und Sie müssen sehr konzentriert und zügig arbeiten. Entsteht eine besondere Energie in Ihrer Holzhütte während Sie arbeiten?
Ja, und zwar eine sehr alternative Energie. Die Energie ist sehr intensiv, und es gibt gute und schlechte Tage. Jede Art von Künstler, die man sich vorstellen kann, – und manchmal auch nicht vorstellen kann – kommt zu mir. Sie überraschen mich immer wieder von Neuem. Diese Leute bringen viel Energie mit, von positiver bis negativer, vertrauter bis überraschender, verzweifelter bis entspannter, neugieriger und allem dazwischen. Die Energie, die die Künstler von mir erwarten oder mir entgegenbringen, kann völlig unterschiedlich sein. Ich muss meine Energie wegen des großen Umfangs dieses Projekts anders einteilen als bei meinen kleineren Projekten in den USA. Ich muss nachhaltig mit meiner Energie umgehen.
Nachhaltige Energie ist ein gutes Stichwort, immerhin ist die nachhaltige Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen schon seit der Unternehmensgründung das Hauptthema für SMA. Als wir darüber nachdachten, die dOCUMENTA (13) zu sponsern, fiel uns auf, dass moderne Kunst und erneuerbare Energien eine Menge Ähnlichkeiten haben. Wie sehen Sie das?
Das ist eine sehr interessante und provokante Frage. Ich habe Ihre Kampagne „Energie ≠ Kunst?“ überall gesehen und vielleicht sind es wirklich die dort genannten Vorurteile, die beides verbinden. Besonders provokant und nachklingend finde ich an der Kampagne die Wörter, die auf ein Missverstehen der modernen Kunst oder alternativen Energien hinweisen. Zum Beispiel „elitär“. Ich denke, moderne Kunst und alternative Energien werden weitestgehend als elitär wahrgenommen, wollen es aber eigentlich gar nicht sein. Was ihr Potenzial angeht, erkenne ich darin viel Spielraum für Missverständnisse und Irrtümer. „Ineffektiv“ ist auch interessant, denn es macht deutlich, dass diese zwei Bereiche eigentlich sehr verschieden sind. Kunst hat es nicht nötig, im praktischen Sinne effektiv zu sein, ein Energieproduzent muss das hingegen unbedingt sein. Kunst sollte natürlich effektiv in ihrer intendierten Funktion sein, das Wort hat dabei aber eher eine übertragene Bedeutung. Ich meine, eine schlechte Arbeit kann nicht effektiv sein, aber wenn man die Bedeutung des Wortes genau nimmt, ist genau das der Unterschied. Ich denke, dass Kunst nicht da ist, um Probleme zu lösen. Vielleicht, um verrückte Lösungsansätze aufzuzeigen; aber das ist weit entfernt davon, umsetzbare Lösungen zu entwickeln, seien sie auch noch so visionär. Vielleicht kommen die beiden an diesem Punkt zusammen: Kunst ist visionär und alternative Energien sind visionär. Kunst kann sogar eine visionäre Energielösung anstoßen, es würde aber nicht am Künstler liegen, die Idee bis zum Ende zu führen. Das ist nicht Kunst. Das Machbare, Umsetzbare, Praktische wäre dann die Aufgabe Ihres Unternehmens. Ich denke, wir brauchen beides: visionäre Denker und praktische Ingenieure, die aus der anfangs verrückten Idee ein praktisches Ergebnis formen können.
Mit unserer Kampagne „Energie ≠ Kunst?“ möchten wir während der dOCUMENTA (13) einen Dialog zwischen Menschen, die sich für moderne Kunst und erneuerbare Energien interessieren, zu diesen Themen anregen. Können Sie uns bitte Ihre Kunstkritik zu dieser Kampagne geben?
Das Konzept der Kampagne ist ziemlich provokativ und ansprechend, dabei wirklich originell und herausfordernd. Ich könnte mir so eine Kampagne nicht in den USA vorstellen – ein Energieunternehmen, das sich in irgendeiner Weise mit Kunst in Verbindung bringt. Von diesem Punkt gesehen ist die Idee also sehr aufregend für mich – dass Kunst so genau betrachtet und aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet wird. Hier hat sich jemand wirklich Gedanken gemacht. Ich hätte wahrscheinlich ein Gleichheitszeichen anstelle des Ungleichheitszeichens benutzt, denn die meisten Menschen gehen wohl davon aus, dass Energie nicht viel mit Kunst zu tun hat. Ich hätte also gefragt: „Energie = Kunst?“, denn das ist die eigentliche Frage. Ich habe überall die Poster und Plakate gesehen und sie haben mich eigentlich etwas verwirrt. Das Konzept dahinter verwirrt mich allerdings gar nicht. Ich finde es sehr reizvoll. Was die Gestaltung angeht: Ich mag Farben. Das einfache Schwarz und Weiß finde ich etwas fade. Ein schöner grüner Farbton wäre für den Hintergrund passend gewesen. Schließlich seid ihr ein grünes Unternehmen. Außerdem ist die Schrift sehr klein. Das erschwert das Lesen. Ein paar Wörter sollten den Betrachter anspringen, um das Interesse auf sich zu ziehen, so dass er davor stehen bleibt, sich Zeit nimmt und mehr darüber erfahren möchte.
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